Die Bedeutung von Europas "Kurswechsel" in Afghanistan

Die Europäische Union hat einen Aktionsplan für Afghanistan und Pakistan beschlossen. Er wird als "qualitative Veränderung" der EU-Politik bezeichnet und macht klar, dass die europäischen Mächte voll und ganz hinter Washingtons imperialistischem Abenteuer stehen. Sie wollen ihre eigenen Interessen in der Region wahren und springen deshalb auf den fahrenden Zug der amerikanischen Kriegsmaschine auf.

Vergangene Woche versprachen die Verteidigungsminister der europäischen Union in Luxemburg mehr Geld für Afghanistan und Pakistan. Sie reagierten damit auf einen von ihnen selbst in Auftrag gegebenen Bericht, der auf die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region hinweist. Der Bericht macht klar, dass die europäischen Regierungen nicht die Absicht haben, Rücksicht auf die in den Mitgliedsländern weit verbreitete Forderung nach einem zügigen Abzug aus Afghanistan zu nehmen. In dem Bericht heißt es: "Die Situation in Afghanistan hat unmittelbare Auswirkungen auf Europa. Mehrere besonders schwere globale Bedrohungen haben heute ihre Ursachen in der Region."

Der Bericht fordert konzertierte internationale Unterstützung für Afghanistan und fügt hinzu, letztlich müsse "der afghanische Staat die volle Verantwortung übernehmen... Das ist aber nicht das Gleiche wie eine internationale ‘Exit Strategie’."

In einer Presseerklärung versichert die Europäische Union, sie sei "bereit, sich der komplexen Herausforderung in Afghanistan und Pakistan zu stellen".

Der schwedische Außenminister Carl Bildt, dessen Land gegenwärtig den rotierenden Vorsitz der EU inne hat, gab bekannt, dass die Europäische Kommission in den nächsten Monaten weitere 200 Millionen Euro für ihre neue Strategie ausgeben werde, zusätzlich zu den bisherigen Geldern, die eine Milliarde Euro im Jahr betragen. Die Verteidigungsminister sagten auch zu, im Rahmen des EUPOL-Programms der EU weitere Polizeiausbilder nach Afghanistan zu schicken. Im Moment sind nur 271 der 400 versprochenen Ausbilder im Einsatz.

In dem Dokument wird die Auffassung der Europäer hervorgehoben, dass eine militärische Lösung allein nicht die Stabilität der Region garantieren könne. Bildt sagte der Financial Times : "Wenn es uns nicht gelingt, in Afghanistan einen funktionierenden Staat auf die Beine zu stellen, dann werden alle unsere Bemühungen scheitern."

Die EU definiert ihr Ziel als eine "umfassende Agenda der Stärkung der strategischen Partnerschaft" mit Pakistan und betont die Notwendigkeit, "einen verstärkten Dialog mit regionalen Mächten" zu führen, zum Beispiel mit Indien, China, Russland, Iran, der Türkei und den Golfstaaten.

Trotz dieser impliziten Kritik an der amerikanischen Politik unterstützt das Dokument ganz ausdrücklich den "Antiterrorkrieg", der gegenwärtig vom Weißen Haus und vom Pentagon geführt wird. Nur einen einzigen wirklichen Vorbehalt machen die europäischen Mächte für ihre Unterstützung des amerikanisch geführten Kriegs geltend: Sie wünschen sich, dass amerikanische Soldaten den größten Teil der Kämpfe und auch des Sterbens übernehmen.

Das zynische Gerede der EU über "politische Lösungen", Staatsaufbau und demokratische Regierungsführung stützt sich in Wirklichkeit auf die militärische Unterdrückung jedes afghanischen Widerstands.

Das ist der Grund, warum die EU General Stanley McChrystals Forderung nach 40.000 zusätzlichen amerikanischen Truppen für Afghanistan ziemlich offen unterstützt. Nach dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister vergangene Woche erklärte Bildt: "Der McChrystal-Bericht ist eindeutig. Der militärische Kampf ist für den Erfolg in Afghanistan wichtig, aber ohne erfolgreichen zivilen Aufbau wird er zu nichts führen."

Die EU kann sich nur insoweit auf den "politisch-zivilen Aufbau" konzentrieren, wie die USA die "militärischen Sicherheitsaufgaben" des Besatzungsregimes wahrnimmt. McChrystals Empfehlungen würden die Zahl der amerikanischen Truppen auf ca. 105.000 bringen, verglichen mit ca. 35.000 aus der EU. Selbst diese Zahl ist irreführend, weil mehrere Staaten, wie zum Beispiel Deutschland und Spanien, zumindest formellen Beschränkungen für den Kampfeinsatz ihrer Truppen unterliegen, um der Antikriegsstimmung in ihren Ländern Rechnung zu tragen.

Diese Beschränkungen haben deutsche Truppen allerdings nicht davon abgehalten, Kampfeinsätze in Nord- und Nordostafghanistan zu bestreiten. Sie haben auch einen Luftschlag im September in Kunduz nicht verhindert, der zu mindestens 125 Toten führte. Das war eins der schlimmsten Massaker dieses Kriegs.

Trotzdem möchten die europäischen Mächte ihre unmittelbare militärische Beteiligung nicht ausweiten, wenn es sich vermeiden lässt. Deswegen waren sie McChrystals Forderungen gegenüber aufgeschlossener als Präsident Obama, der eine endgültige Entscheidung über das zusätzliche amerikanische Engagement hinauszögert und versucht, zusätzliche Truppen aus Europa anzuwerben. Dabei hatte er bisher nur geringen Erfolg. Bis jetzt hat nur der britische Premierminister Gordon Brown 500 weitere Soldaten zugesagt. Im Gegensatz dazu verkündete Präsident Nicolas Sarkozy am 15. Oktober, Frankreich werde "nicht einen zusätzlichen Soldaten" nach Afghanistan schicken.

Solche Behauptungen von Sarkozy sind nicht viel wert, aber sie zeigen, dass die europäischen Mächte der Meinung sind, ein zusätzliches militärisches Engagement der USA sei einer stärkeren europäischen Rolle bei weitem vorzuziehen, und stelle zumindest eine Vorbedingung dafür dar.

Der Spiegel kommentierte die Weigerung der Europäer auf dem Nato-Gipfel, mehr Truppen zu entsenden, am 29. Oktober so: "Dieses Zögern liegt ausnahmsweise nicht an der in Europa verbreiteten Kriegsmüdigkeit... US-Präsident Obama hat über die Situation zu lange geschwiegen. Es ist richtig, dass europäische Länder wie Deutschland und Frankreich in der Afghanistanfrage eine bessere amerikanische Führung verlangen."

Der Spiegel beklagt Obamas Zögern, McChrystals Forderung nach mehr Truppen nachzukommen, und stellt die erstaunliche und falsche Behauptung auf, dass "die Öffentlichkeit vom Weißen Haus und dem Pentagon die Entsendung von mehr Truppen" fordere.

"Obamas Administration erweckt zurzeit den Eindruck, dass der Mut sie verlassen hat.... Aber warum sollen sich Deutschland und Frankreich von einem Präsidenten wortreich in die Pflicht nehmen lassen, der zu Hause keine klaren Worte spricht, obwohl er über die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses verfügt?", beklagt das Magazin.

Am gleichen Tag brachte der britische Guardian eine Kolumne des Militärkommentators Tom Rogan mit der Überschrift "Obama muss auf General McChrystal hören".

Rogan schrieb: "Es geht um viel. Letztlich wird Obamas Entscheidung nicht nur bestimmend für das Ergebnis des Afghanistankonflikts sein, sondern auch für die Moral und strategische Position der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und der Nato."

Gleich, welche schmutzigen politischen Überlegungen und Manöver die politischen Akteure in Berlin, Paris und London aushecken, die europäischen Mächte sind für den Krieg in Afghanistan mitverantwortlich; sie teilen die volle Verantwortung für die dort begangenen Verbrechen - die jetzigen und die künftigen. Der Krieg kann nur durch den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse gegen die imperialistische Bourgeoisie und ihre politischen Vertreter in Europa und Amerika beendet werden.

Siehe auch:
Schläge gegen USA und Nato nehmen zu: Pentagon drängt auf Truppenverstärkung in Afghanistan
(11. August 2009)
Wachsende Opposition gegen den Krieg in Afghanistan
( 8. August 2009)
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